Hallo Leute,
Ich habe mich in den letzten Tagen viel über die Ereignisse und die Berichterstattung über die G20 Proteste geärgert (Wider besseren Wissens ihrer Funktionalität zugegeben…). Angefangen bei der Polizeistrategie eine gewaltige aber friedliche Demonstration anzugreifen und sie mit Wasserwerfern allesamt in den Vierteln zu verteilen und ihnen zu demonstrieren das friedlicher Protest nicht stattfinden kann, bis zu den konterrevolutionären Aktionen die kein Linker gutheißen kann: Kleinwagen wurden angezündet, während ein Mercedes unversehrt daneben steht (nicht das ich das anzünden von teuren Autos mit zu vermutender Vollkasko sinnvoll finde), Kleine Geschäfte entglast, während daneben eine Bank unversehrt steht und Leute, die geschlagen wurden für das Verteidigen ihres Viertels vor konterrevolutionärem Vandalismus. Ortsansässige Geschäftsleute, die selber darunter gelitten haben, haben ein schönes Statement verbreitet. Weiter unten habe ich es in diesen Blogbeitrag eingefügt. Dem habe ich lediglich hinzuzufügen, dass ich nicht an eine reine Bespaßungs- und Wutrauslassungsaktion eines bunten(!) Mobs glaube, sondern dass bezahlte Agenten gezielt kleine Läden und kleine Autos zerstört haben. Ich glaube auch nicht an die öffentlichen Stellungnahmen des Gewaltmonopols es wäre zu sehr mit dem Schützen der Veranstaltung beschäftigt gewesen um im Schanzenviertel einzuschreiten. Das ist mir bei 20.000 Beamten nicht glaubhaft vermittelbar selbst wenn diese auch Pausen brauchen. Ich glaube vielmehr, dass – wie vielerorts beschrieben – über mehrere Tage Druck gemacht wurde auf die Menschen in Hamburg (nicht nur die Demonstranten), und dann bewusst das Schanzenviertel sich selbst überlassen wurde. Ich hoffe wir verlernen nie die Frage zu stellen: wem dient es?
Wem dient die Nicht-Distanzierung der inteverntionistischen Linken von den dämlichen Anschlägen auf die Deutsche Bahn? Sie diente weder der Blockade oder Sabotage irgendwelcher gipfel-relevanter Infrastruktur noch der Sympathischöpfung bei den Leid tragenden Fahrgästen. Also weg mit dem Distanzierungstabu innerhalb der autonomen Linken bei hirnverbrannten militanten Aktionen!
Terrorabwehr? Nicht da wo sie nötig is!
Ich hatte (glaube ich in der Samstagsausgabe der TAZ vom 8.7., leider ist das Archiv gerade nicht verfügbar gewesen) einen Bericht von einer TAZ Journalistin gelesen, die mit ihrer Kollegin durch die Kontrollen durch ist und nur ihren Journalismus Ausweis kurz hoch gehalten hat. So stand sie mit ihrer Kollegin nach kurzer Zeit mit völlig unkontrollierten Taschen direkt am Empfang des G20. Mit einem simplen Remake eines Journalisten Ausweises hätten sie z.B. Trump mit in die Luft sprengen können. Dies hat sie dem dortigen Einsatzleiter ungläubig mitgeteilt, da sie keinen Bock auf weitere Einschränkungen der Bürgerrechte und sonstige Konsequenzen eines solchen Anschlags hat. Dieser, anscheinend ebenso verwirrt, lief dann mit der Journalistin zu dem entsprechenden „Kontrollbeamten“. Dieser sagte er sei nicht mit der Kontrolle beauftragt worden. Es war also beim G20 in diesem Moment niemand zuständig für die Kontrolle der Leute, die direkt bis an die Herrschenden ran kamen. Ist sowas die gewaltigste Panne der Sicherheitsorgane überhaupt, oder gibt es dabei ein Kalkühl? Wem dient es?
<https://www.facebook.com/BistroCarmagnole/posts/1451018668300206>
Bistro Carmagnole
+++ STELLUNGNAHME ZU DEN EREIGNISSEN VOM WOCHENENDE +++
Wir, einige Geschäfts- und Gewerbetreibende des Hamburger
Schanzenviertels, sehen uns genötigt, in Anbetracht der
Berichterstattung und des öffentlichen Diskurses, unsere Sicht der
Ereignisse zu den Ausschreitungen im Zuge des G20-Gipfels zu schildern.
In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2017 tobte eine Menge für Stunden
auf der Straße, plünderte einige Läden, bei vielen anderen gingen die
Scheiben zu Bruch, es wurden brennende Barrikaden errichtet und mit der
Polizei gerungen.
Uns fällt es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer,
darin die Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch
viel weniger die Idee einer neuen, besseren Welt.
Wir beobachteten das Geschehen leicht verängstigt und skeptisch vor Ort
und aus unseren Fenstern in den Straßen unseres Viertels.
Aber die Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn
gebrochen hat, sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder
im öffentlichen Diskurs angemessen reflektiert.
Ja, wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten
herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen
und das Pflaster aufgerissen wurde.
Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig
unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz
kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund
geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden.
Tagelang.
Dies darf bei der Berücksichtigung der Ereignisse nicht unter den
Teppich gekehrt werden.
Zum Höhepunkt dieser Auseinandersetzung soll in der Nacht von Freitag
und Samstag nun ein „Schwarzer Block“ in unserem Stadtteil gewütet haben.
Dies können wir aus eigener Beobachtung nicht bestätigen, die außerhalb
der direkten Konfrontation mit der Polizei nun von der Presse beklagten
Schäden sind nur zu einem kleinen Teil auf diese Menschen zurückzuführen.
Der weit größere Teil waren erlebnishungrige Jugendliche sowie Voyeure
und Partyvolk, denen wir eher auf dem Schlagermove, beim Fußballspiel
oder Bushido-Konzert über den Weg laufen würden als auf einer
linksradikalen Demo.
Es waren betrunkene junge Männer, die wir auf dem Baugerüst sahen, die
mit Flaschen warfen – hierbei von einem geplanten „Hinterhalt“ und
Bedrohung für Leib und Leben der Beamten zu sprechen, ist für uns nicht
nachvollziehbar.
Überwiegend diese Leute waren es auch, die – nachdem die Scheiben
eingeschlagen waren – in die Geschäfte einstiegen und beladen mit
Diebesgut das Weite suchten.
Die besoffen in einem Akt sportlicher Selbstüberschätzung mit nacktem
Oberkörper aus 50 Metern Entfernung Flaschen auf Wasserwerfer warfen,
die zwischen anderen Menschen herniedergingen, während Herumstehende mit
Bier in der Hand sie anfeuerten und Handyvideos machten.
Es war eher die Mischung aus Wut auf die Polizei, Enthemmung durch
Alkohol, der Frust über die eigene Existenz und die Gier nach Spektakel
– durch alle anwesenden Personengruppen hindurch –, die sich hier Bahn
brach.
Das war kein linker Protest gegen den G20-Gipfel. Hier von linken
AktivistInnen zu sprechen wäre verkürzt und falsch.
Wir haben neben all der Gewalt und Zerstörung an dem Tag viele
Situationen gesehen, in denen offenbar gut organisierte, schwarz
gekleidete Vermummte teilweise gemeinsam mit Anwohnern eingeschritten
sind, um andere davon abzuhalten, kleine, inhabergeführte Läden
anzugehen. Die anderen Vermummten die Eisenstangen aus der Hand nahmen,
die Nachbarn halfen, ihre Fahrräder in Sicherheit zu bringen und
sinnlosen Flaschenbewurf entschieden unterbanden. Die auch ein Feuer
löschten, als im verwüsteten und geplünderten „Flying Tiger Copenhagen“
Jugendliche versuchten, mit Leuchtspurmunition einen Brand zu legen,
obwohl das Haus bewohnt ist.
Es liegt nicht an uns zu bestimmen, was hier falsch gelaufen ist, welche
Aktion zu welcher Reaktion geführt hat.
Was wir aber sagen können: Wir leben und arbeiten hier, bekommen seit
vielen Wochen mit, wie das „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ ein
Klima der Ohnmacht, Angst und daraus resultierender Wut erzeugt.
Dass diese nachvollziehbare Wut sich am Wochenende nun wahllos, blind
und stumpf auf diese Art und Weise artikulierte, bedauern wir sehr. Es
lässt uns auch heute noch vollkommen erschüttert zurück.
Dennoch sehen wir den Ursprung dieser Wut in der verfehlten Politik des
Rot-Grünen Senats, der sich nach Außen im Blitzlichtgewitter der
internationalen Presse sonnen möchte, nach Innen aber vollkommen
weggetaucht ist und einer hochmilitarisierten Polizei das komplette
Management dieses Großereignisses auf allen Ebenen überlassen hat.
Dieser Senat hat der Polizei eine „Carte Blanche“ ausgestellt – aber
dass die im Rahmen eines solchen Gipfels mitten in einer Millionenstadt
entstehenden Probleme, Fragen und sozialen Implikationen nicht nur mit
polizeitaktischen und repressiven Mitteln beantwortet werden können,
scheint im besoffenen Taumel der quasi monarchischen Inszenierung von
Macht und Glamour vollkommen unter den Tisch gefallen zu sein.
Dass einem dies um die Ohren fliegen muss, wäre mit einem Mindestmaß an
politischem Weitblick absehbar gewesen.
Wenn Olaf Scholz jetzt von einer inakzeptablen „Verrohung“, der wir „uns
alle entgegenstellen müssen“, spricht, können wir dem nur beizupflichten.
Dass die Verrohung aber auch die Konsequenz einer Gesellschaft ist, in
der jeglicher abweichende politische Ausdruck pauschal kriminalisiert
und mit Sondergesetzen und militarisierten Einheiten polizeilich
bekämpft wird, darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben.
Aber bei all der Erschütterung über die Ereignisse vom Wochenende muss
auch gesagt werden:
Es sind zwar apokalyptische, dunkle, rußgeschwärzte Bilder aus unserem
Viertel, die um die Welt gingen.
Von der Realität eines Bürgerkriegs waren wir aber weit entfernt.
Anstatt weiter an der Hysterieschraube zu drehen sollte jetzt
Besonnenheit und Reflexion Einzug in die Diskussion halten.
Die Straße steht immer noch, ab Montag öffneten die meisten Geschäfte
ganz regulär, der Schaden an Personen hält sich in Grenzen.
Wir hatten als Anwohner mehr Angst vor den mit Maschinengewehren auf
unsere Nachbarn zielenden bewaffneten Spezialeinheiten als vor den
alkoholisierten Halbstarken, die sich gestern hier ausgetobt haben.
Die sind dumm, lästig und schlagen hier Scheiben ein, erschießen dich
aber im Zweifelsfall nicht.
Der für die Meisten von uns Gewerbetreibende weit größere Schaden
entsteht durch die Landflucht unserer Kunden, die keine Lust auf die
vielen Eingriffe und Einschränkungen durch den Gipfel hatten – durch die
Lieferanten, die uns seit vergangenem Dienstag nicht mehr beliefern
konnten, durch das Ausbleiben unserer Gäste.
An den damit einhergehenden Umsatzeinbußen werden wir noch sehr lange zu
knapsen haben.
Wir leben seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch
freundschaftlich-solidarischer Nachbarschaft mit allen Formen des
Protestes, die hier im Viertel beheimatet sind, wozu für uns
selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote Flora gehört.
Daran wird auch dieses Wochenende rein gar nichts ändern.
In dem Wissen, dass dieses überflüssige Spektakel nun vorbei ist, hoffen
wir, dass die Polizei ein maßvolles Verhältnis zur Demokratie und den in
ihr lebenden Menschen findet, dass wir alle nach Wochen und Monaten der
Hysterie und der Einschränkungen zur Ruhe kommen und unseren Alltag mit
all den großen und kleinen Widersprüchen wieder gemeinsam angehen können.
Einige Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel
BISTRO CARMAGNOLE
CANTINA POPULAR
DIE DRUCKEREI – SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
ZARDOZ SCHALLPLATTEN
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